CANCOM: Könntest du dich kurz vorstellen und uns erzählen, wie du zum Handbiken gekommen bist?
Jörg: Ich heiße Jörg Schneider und bin 50 Jahre alt. Im Januar 2001 hatte ich einen lebensverändernden Unfall: Ich bin als Passagier mit einem Klein-Flugzeug abgestürzt und überlebte. Seitdem bin ich querschnittsgelähmt und sitze im Rollstuhl. Bereits vor dem Unfall war ich sehr sportlich unterwegs und habe Basketball gespielt. Da Rollstuhl-Basketball die Team-Sportart Nummer 1 für Menschen mit so einem Handicap ist, habe ich mich nach dem Unfall und der Reha schnell dafür entschieden, einem Team beizutreten. In Deutschland habe ich es geschafft, in der zweiten Liga mitzuspielen. Während meines Post-Graduiertenstudiums in Australien wurde ich dort ins National Team von Brisbane aufgenommen. Das war eine tolle Zeit. Wir sind zu jedem Spiel mit dem Flugzeug geflogen, hatten zwei Spiele am Wochenende.
Zurück in Deutschland habe ich dann weiter für den Verein in Tübingen gespielt. In der Hochphase bin ich zwischen drei Orten – Tübingen, meinem Wohnort Ulm und meinem Arbeitsort bei Ludwigsburg – gependelt. Ich kam oft erst nachts nach Hause und musste um 4 Uhr wieder raus. Das wurde auf Dauer zu viel. Da ich gleichzeitig schon mit dem Handbiken angefangen hatte, entschied ich mich dafür, mich darauf zu fokussieren, und hörte mit dem Rollstuhl-Basketball auf. Außerdem wurde mir klar, dass der Ausdauersport im Handbiken besser für meinem Körper ist. So kam es, dass ich seit 2009 an Handbiking-Wettkämpfen teilnehme.
CANCOM: Wie hast du dich nach dem Unfall motiviert, weiterzumachen? Wie hat dir der Sport dabei geholfen?
Jörg: Für mich waren zwei Dinge maßgeblich: Zum einen verfiel ich nicht in eine Depression und in Selbstmitleid, sondern fokussierte mich auf die positiven Dinge im Leben. Zum anderen erhielt ich enormen Rückhalt von meiner Familie und von Freunden. Sie waren immer für mich da und haben mich aufgefangen.
Während meiner ersten Reha wurde mir außerdem bewusst, dass es viel schlimmere Schicksale als meines gibt und es mir mit meinem Handicap gut geht. Zwar kann ich nicht mehr laufen, aber ich kann meine Arme bewegen und bin selbstständig. Mein optimistischer Blick nach vorne half mir dabei, mich neuen Herausforderungen zu stellen und das Rollstuhl-Basketball und Handbiken wurde zu einem wichtigen Teil meines Lebens.
CANCOM: Wie kam es dazu, dass CANCOM dein Sponsor wurde? Wie unterstützt dich das Unternehmen?
Jörg: Ich habe aktiv Kontakt zu CANCOM aufgenommen. Es wurde schnell klar, dass die Menschen hinter CANCOM von dem, was ich tue, begeistert waren. CANCOM begleitet mich seitdem auf meinem sportlichen Weg und unterstützt mich dabei. In den ersten Jahren war das noch beim Rollstuhl-Basketball, später dann beim Handbiken. CANCOM stellt mir jährlich einen gewissen Betrag zur Verfügung, mit dem ich zum Beispiel Unterkünfte während und Fahrten zu Wettkämpfen bezahle. Bei speziellen Events wie Trainingslagern oder Wettkämpfen im Ausland kläre ich vorab, ob das zusätzlich übernommen wird. Auch in Bezug auf das Equipment unterstützt mich CANCOM hin und wieder. Die Räder beim Handbiken sind individuell angepasst und nicht gerade günstig. Mein letztes Bike hat CANCOM mitfinanziert. Im Gegenzug trage ich Trikots mit CANCOM Logo oder nenne das Unternehmen in der Presse – das ist das Mindeste, was ich zurückgeben kann. Meine sportlichen Highlights und die Teilnahme an so vielen Wettkämpfen wären ohne CANCOM nicht möglich gewesen. Und dafür bin ich unendlich dankbar und freue mich sehr darüber.
CANCOM: Was war bisher dein größter Erfolg und welche Rennen die Beeindruckendsten?
Jörg: Einer der größten Erfolge war der 5. Platz beim Boston Marathon 2018. Was mir dabei vor allem in Erinnerung geblieben ist, waren die Wetterbedingungen, die das Rennen extrem hart für alle Teilnehmer gemacht haben: Es waren um die 0 Grad und hat in Strömen geregnet. Dadurch dass das Fernsehen live übertragen hat, wurden wir bereits 20 Minuten vor Beginn in die Startaufstellung gebracht. Als der Startschuss erklang, waren wir bereits klatschnass und unterkühlt. Trotzdem habe ich es durchgezogen und wurde mit dem 5. Platz belohnt.
Ein beeindruckendes Rennen war in Abu Dhabi. Die Scheichs haben für uns die Formel-1-Strecke Yas Marina Circuit gemietet. Wir durften zwei Tage auf die Bahn und haben sowohl das Einzelzeitfahren als auch das Rundenrennen absolviert. Der Miami Marathon war auch ein absolutes Highlight: Aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit wird dort immer in der Nacht gestartet. Bei Sonnenaufgang bin ich nach Ocean Beach an den beleuchteten Kreuzfahrtschiffen vorbeigefahren – das waren wahnsinnig eindrucksvolle Bilder. Diese Erlebnisse werde ich nie vergessen.
CANCOM: Wie oft trainierst du und welche Ziele hast du dir für das Handbiken noch gesteckt?
Jörg: Ich bin vier- bis fünfmal pro Woche auf dem Rad. Das sind im Jahr etwa 10.000 km, die ich absolviere. Wenn ich bei einem Wettkampf an der Startlinie stehe, schalte ich immer auf Maximum und versuche, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.
Ich würde gerne bis ins hohe Alter fit bleiben und auch dann noch an Wettkämpfen teilnehmen. Dann wird es wahrscheinlich eher eine Langdistanz sein, die mich reizt, und weniger ein Marathon. Aber das wird sich dann zeigen.
CANCOM: Gibt es bestimmte Personen oder Ereignisse, die dich inspirieren? Welchen Stellenwert nimmt der Sport in deinem Leben ein?
Jörg: Es gibt viele Menschen, vor denen ich meinen Hut ziehe und die ich bewundere. Mein Ziel ist und war es aber nie, komplett in den Leistungssport zu gehen. Was würde es mir beispielsweise bringen, wenn ich eine paralympische Medaille gewinnen würde, dafür aber meine Schultern irgendwann kaputt sind? Die Menschen, die das professionell machen, dürfen nur bedingt auf ihren Körper hören und müssen ihre Trainingspläne abarbeiten. Ich bin aber nicht bereit, über die Grenzen meines Körpers hinauszugehen. Außerdem habe ich noch eine tolle Familie und einen Job als Localization Manager bei einem IT-Unternehmen, den ich sehr gerne mache. Darum steht für mich die Balance zwischen Familie, Beruf und Sport im Vordergrund.
CANCOM: Mit welchen Herausforderungen hast du beim Handbiken zu kämpfen und wie gehst du mit ihnen um?
Jörg: Im Winter trainieren wir nicht draußen in der Natur, sondern auf der Rolle. Gerade da fallen meinem inneren Schweinehund gerne tausend Ausreden ein, warum ich mich lieber nicht sportlich betätigen sollte. Ich versuche aber immer, ihn zu überwinden. Wenn ich dann angefangen habe, ziehe ich das Training auch komplett durch. Anschließend fühle ich mich richtig gut und ich bin froh, dass ich es gemacht habe.
CANCOM: Welchen Rat würdest du anderen geben, die einen ähnlichen Schicksalsschlag erlebt haben?
Jörg: Wenn ich mein Leben vor und nach dem Unfall vergleiche, wird mir bewusst, wie viel man als Rollstuhlfahrer erreichen kann. Wichtig ist, sich nicht aufzugeben und Menschen um sich zu haben, die einem gut tun. Sport kann eine wertvolle Möglichkeit sein, um mit dieser schwierigen Situation umzugehen und positive Energie zu finden. Mir persönlich gibt der Sport unheimlich viel und tut mir extrem gut. Ich hoffe auch, dadurch länger fit zu bleiben.
Ich kann nur alle Menschen dazu ermutigen, Sport zu treiben und sich zu bewegen – egal, ob mit oder ohne Handicap. Ich freue mich, wenn ich mit meinem Sport andere motivieren kann, sich auch mehr zu bewegen.
CANCOM: Vielen Dank für die Einblicke in dein Leben und das inspirierende Gespräch. Wir wünschen dir für die Zukunft alles Gute und drücken dir weiterhin die Daumen für deine Wettkämpfe!
Jörg besucht uns regelmäßig in unserem Office. Hier tauscht er sich gerade mit unserem CEO Rüdiger Rath aus.