CANCOM: Hallo Jörg, du hast vor ein paar Wochen beim 16. internationalen Speaker Slam Mastershausen (Rheinland-Pfalz) mit gemacht und gewonnen! Herzlichen Glückwunsch zu dieser tollen Leistung. Könntest du uns kurz erzählen, was es mit diesem Wettbewerb auf sich?
Jörg: Vielen Dank! Der Speaker Slam Mastershausen ist ein Rednerwettstreit, bei dem 120 Teilnehmer aus 21 Ländern und vier Kontinenten gegeneinander antreten. Vor dem eigentlichen Auftritt bekam jeder Speaker an vier Tagen Schulungen von erfahrenen Speakern. Bei mir war es unter anderem Frank Asmus, ein bekannter Regisseur, der mir Tipps gegeben hat, wie man andere überzeugt, Dramaturgie anwendet, eine Rede strukturiert und aufbaut. Das Gelernte und den Input galt es dann während des Wettbewerbs umzusetzen, das Publikum mit seiner Rede zu begeistern und die Jury zu überzeugen. Die Palette an Themen, über die gesprochen wurde, war bunt. Und in meiner Kategorie, der IT, hat eine Jury aus Radio-, Medien- und Scoutingexperten schließlich mich zum Gewinner ernannt.
CANCOM: Was hat dich dazu bewogen, an dem Wettbewerb teilzunehmen?
Jörg: Meine Motivation hatte einen persönlichen Hintergrund. Ich bin ein eher introvertierter Mensch und hatte außerdem mit Angst vor Nähe und Menschenmassen zu kämpfen. Im Berufsleben ist Sichtbarkeit und Netzwerken jedoch entscheidend, um erfolgreich zu sein. Obwohl ich immer das Feedback bekommen habe, dass ich nach außen sehr kompetent, gelassen und sympathisch wirke, verspürte ich ständig eine innerliche Anspannung. Darum wollte ich meine Ängste endlich überwinden. Es nützt leider nichts, nur über seine Angst zu reden. Man muss sich ihr stellen, so dass das Unterbewusstsein eine neue positive Erfahrung abspeichern kann. So stellte ich mich bei dem Speaker Slam Wettbewerb meinem größten Alptraum. Denn viele Menschen würden den Blick auf mich richten und eine Jury würde jedes Detail von mir beobachten und bewerten.
Außerdem habe ich als Teamleiter eine Vorbildfunktion. Ich möchte mit der Teilnahme meine Kolleginnen und Kollegen dazu motivieren, sich ebenfalls Ängsten und Herausforderungen zu stellen. Denn wer wachsen möchte, sollte nach weiteren Herausforderungen suchen. Dabei wird er entdecken, welches verborgene Potenzial in ihm steckt.
CANCOM: Welche Erkenntnisse ziehst du aus der Erfahrung beim Speaker Slam?
Jörg: Mir persönlich ging es nicht um den Rednerpreis, sondern um die persönliche Entwicklung. Sie macht mich eigentlich zum Gewinner. Vor dem Speaker Slam stellte ich sehr hohe Ansprüche an mich selbst und war mein größter Kritiker. Ich habe mir immer zu viele Gedanken darüber gemacht, was andere von mir denken, wenn ich dieses oder jenes sagen würde. Das war der Grund, warum ich oft auf Distanz gegenüber anderen ging. Dank der Teilnahme am Speaker Slam habe ich verstanden, dass sich kaum ein Mensch nach ein paar Stunden noch an den Inhalt eines Small Talks im Detail erinnern kann. Er wird aber noch wissen, ob er sich im Gespräch wohl gefühlt hat. Daher mache ich mir keine Gedanken mehr, was ich konkret sagen sollte. Ich tue lieber das, was ich am besten kann: Ich schenke meinen Gesprächspartner Aufmerksamkeit und Interesse und verabschiede ihn mit einer positiven bzw. freudigen Emotion. Genauso sollte es auch bei meiner Rede sein: Mit der perfekten Rede sollten beim Publikum Emotionen und Gänsehaut geweckt werden. Der Inhalt der Rede ist eher nebensächlich.
CANCOM: Welche Tipps würdest du anderen geben, die mit ähnlichen Ängsten zu kämpfen haben?
Jörg: Nach Jahren der Selbstreflektion habe ich erkannt, dass gerade hinter Ängsten und Zweifeln unsere eigentlichen Stärken verborgen liegen. Herausforderungen sind also nicht dazu da, um uns zu ärgern oder das Leben schwer zu machen. Sie bieten Chancen zum persönlichen Wachstum. Daher macht es immer Sinn, sich seinen Ängsten zu stellen und sie als Möglichkeit zur Weiterentwicklung zu sehen.
CANCOM: Zu welchem Thema hast du gesprochen?
Jörg: Ich habe mir die Frage gestellt, was Vertreter von Radio-, Medien- und Scoutingexperten interessiert: Sie suchen nach Provokationen zu aktuellen Themen. Also habe ich mich in der Kategorie IT der These gewidmet: „Mit künstlicher Intelligenz verdummt die Menschheit“. Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass ich mit dem Vortrag im Zwiespalt zu CANCOM stehe. Schließlich gehört KI zu unserem Geschäft. Aber im Gegenteil: Als Mitarbeiter von CANCOM möchte ich den positiven Nutzen künstlicher Intelligenz hervorheben. Trotzdem bin ich in meiner Rede auch auf ihre Gefahren eingegangen und möchte zu mehr Eigenverantwortung aufrufen. Die Menschen müssen das Thema KI auch kritisch betrachten, sie müssen die Vorteile nutzen, aber auch die potenziellen Gefahren immer im Auge behalten. Ich sehe KI als Mittel zur Unterstützung und zur Ergänzung, nie aber als einen Ersatz für eigenes Handeln und Denken. Denn was KI fehlt, sind Emotionen.
Als Beispiel habe ich in meinem Vortrag den aktuellen Pumuckl Film aufgeführt, den ich zusammen mit meinen Kindern gesehen hatte. Der Sprecher des Kobolds, Hans Clarin, ist tot, seine Stimme wurde mit der Hilfe von KI neu generiert. Wie kann es sein, dass der Pumuckl im Jahre 2023 genau so klingen kann, wie vor 20 oder 30 Jahren? Und es ist wirklich kein Unterschied zu erkennen. So schön der Nutzen in der Unterhaltungsindustrie ist, umso mehr ist dieser Einsatz von KI im politischen und gesellschaftlichen Bereich wegen Propaganda-Missbrauchs kritisch zu betrachten.
CANCOM: Wie geht es jetzt weiter? Bist du gelassener in Bezug auf Menschenmassen geworden? Und planst du vielleicht sogar, erneut an einem Speaker Slam teilzunehmen?
Jörg: Es ist wie mit allem, was wir neu gelernt haben: Man muss es weiter üben und anwenden, um mehr Erfahrungswerte und Routine zu erzeugen. So ist es auch bei mir. Als introvertierter Mensch werde ich vermutlich nie eine Rampensau werden. Aber mir fallen Konversationen, das Präsentieren vor anderen jetzt deutlich leichter, auf der Bühne fühle ich mich jetzt wohl und auch in Bezug auf Menschenmassen bin ich gelassener geworden.
CANCOM: Vielen Dank, Jörg, für das inspirierende Gespräch.