CANCOM: Du arbeitest im Competence Center Cloud und Datacenter bei CANCOM. Was genau ist das?
Eva: Das Competence Center Cloud und Datacenter ist eine spezialisierte Einheit innerhalb von CANCOM, die deutschlandweit zentral organisiert ist. Ich befasse mich hier mit dem Thema KI-Infrastrukturen. Die Aufgaben unseres Competence Centers sind sehr vielfältig: Wir kümmern uns um die Innovationsentwicklung, Portfolio-Gestaltung und strategische Zusammenarbeit. Konkret bedeutet das, dass wir festlegen, welche Fokus- und Wachstumsthemen von unseren Business Units vorangetrieben werden sollen. Dazu führen wir Analysen auf Basis von Kunden-, Hersteller- und Markttrends durch, entwickeln passende Lösungen und Services und sorgen auch dafür, dass diese adäquat beworben werden. Wir unterstützen Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedenen Business Units bei komplexen Kundenprojekten und Ausschreibungen und schaffen Synergien zwischen Experten und strategischen Partnern.
CANCOM: Du bist also direkt am Puls der Zeit. Mit Blick auf das bevorstehende Jahr – welche KI-Trends siehst du für 2026? Wie wird sich das kommende Jahr vom jetzigen unterscheiden?
Eva: In den letzten Jahren hat sich das Thema Künstliche Intelligenz rasant entwickelt. Ein markantes Beispiel war das Erscheinen von ChatGPT Ende 2022 – damit wurden große Sprachmodelle, sogenannte Large Language Models, schlagartig bekannt. Seitdem verkürzen sich die Innovationszyklen immer weiter, gefühlt gibt es jede Woche etwas Neues. Eine gute Orientierung für diese Innovationsphasen bietet der von Gartner beschriebene „AI Hype Cycle“: Eine neue Technologie startet mit einem Auslöser, erreicht den „Peak of Inflated Expectations“, also den Hype-Höhepunkt, fällt dann ab, wenn die hohen Erwartungen nicht sofort erfüllt werden, und stabilisiert sich schließlich auf einem Produktivitätsplateau. Genau das erleben wir auch bei ChatGPT. Nach dem Hype 2022 folgte 2023/2024 eine Phase, in der Unternehmen verstärkt daran arbeiteten, generative KI-Anwendungen wirklich produktiv zu machen – weg von der reinen Faszination hin zur konkreten Umsetzung.
Der große Trend 2025 sind KI-Agenten, also Systeme, die eigenständig Aufgaben erfüllen. 2026 wird dieser Hype etwas abflachen. Um eine breite Anwendung zu erreichen, braucht es Zeit, Ressourcen und Lernprozesse. 2026 wird deshalb das Jahr sein, in dem viele Technologien, wie AI Agents, intern in Unternehmen weiterentwickelt werden. Es wird darum gehen, bestehende Anwendungen zu verfeinern, produktiv einzusetzen und aus Erfahrungen zu lernen – durch Trial-and-Error. Das ist normal, denn KI ist nach wie vor eine junge und komplexe Technologie.
CANCOM: Was erhoffst du dir im nächsten Jahr im Bereich KI?
Eva: Ich hoffe, dass 2026 vor allem im Bereich Enterprise AI spürbare Effizienzgewinne bringt. Bisher nutzen viele Unternehmen KI für relativ einfache Aufgaben wie beispielsweise Textzusammenfassungen. Ich wünsche mir, dass wir im kommenden Jahr mehr echte Produktivitätssteigerungen sehen – also, dass Mitarbeitende wirklich entlastet werden. Noch ist das nicht flächendeckend der Fall, aber ich glaube, dass wir 2026 die nächste Stufe erreichen werden. Eine sogenannte Super-KI oder allgemeine künstliche Intelligenz (AGI) wird es noch nicht geben, das dauert sicher noch fünf bis zehn Jahre. Doch kleinere Effizienzgewinne, gezielte Einsätze und produktive Anwendungen werden wir hoffentlich schon 2026 beobachten können.
CANCOM: Wo siehst du die größten Herausforderungen und Risiken im kommenden Jahr?
Eva: In meinem Bereich – der KI-Infrastruktur – sehe ich zwei große Schwerpunkte: die Bereitstellung geeigneter Infrastruktur und die Souveränität dieser. Hinzu kommen begrenzte Ressourcen. Viele Unternehmen stehen aktuell vor der Frage, wo sie ihre KI-Systeme betreiben sollen:
- In einer großen Public Cloud bei einem Hyperscaler, wo Ressourcen flexibel gemietet werden können, allerdings können hier die Kosten schnell steigen.
- In einer privaten Cloud bei einem deutschen Anbieter.
- Oder ganz lokal – mit einem eigenen „Mini-Supercomputer“ vor Ort, was allerdings physische Sicherheitsrisiken bergen kann.
Entscheidend ist, nicht nur auf die Kosten zu schauen, sondern einen verlässlichen Dienstleister oder eine stabile interne Plattform zu haben, die Sicherheit, Datenschutz und Performance gewährleistet.
Ein weiteres Thema betrifft die europäischen Ressourcen: Cloud- und Rechenkapazitäten in Europa sind begrenzt. Einige große Hersteller bieten kaum noch KI-Rechenressourcen oder GPUs an – es entsteht ein regelrechter Wettlauf um Rechenpower. Deshalb setzen Anbieter wie CANCOM auf private KI-Cloud-Infrastrukturen. Wir verfügen über eine eigene, von Hewlett Packard Enterprise (HPE) unterstützte Private-Cloud-Infrastruktur, die in unserem Rechenzentrum in Hamburg betrieben wird – eine sichere und vollständig von CANCOM gehostete Umgebung für KI-Workloads. Diese „Private Cloud AI“ basiert auf leistungsstarken Rack-Servern mit GPUs, die speziell für KI-Anwendungen ausgelegt sind. Damit können wir sichere, flexible und unabhängige KI-Workloads anbieten – ein Angebot, das derzeit auf großes Interesse stößt.
CANCOM: Was würdest du Unternehmen empfehlen, die mit KI starten wollen?
Eva: Ich empfehle, den Aufbau einer souveränen KI-Infrastruktur im Rechenzentrum ernsthaft in Betracht zu ziehen. Diese Variante ist aus meiner Sicht aktuell die sicherste und gleichzeitig praktikabelste Lösung. Ein eigener Server im Rechenzentrum ist Teil eines geschützten Netzwerks und lässt sich gezielt vor externen Risiken abschirmen. So können Unternehmen KI-Anwendungen entwickeln, testen und betreiben, ohne von öffentlichen Cloud-Anbietern abhängig zu sein. Auch physische Sicherheitsrisiken – etwa durch Diebstahl oder unbefugten Zugriff – entfallen weitgehend.
Allerdings sollten die Kosten realistisch eingeschätzt werden: Je nach Ausstattung, insbesondere der Zahl moderner GPU-Karten, kann ein KI-Server schnell teuer werden. Allerdings kommt es auch auf den Use Case des Kunden und das richtige Sizing an. Hier gibt es viele Variablen zu betrachten, damit der Kunde passende Lösung bekommt, die auf keinen Fall zu klein dimensioniert, aber auch nicht zu groß dimensioniert und damit kostenintensiv ist. Die Investitionskosten können anfangs eine Einstiegshürde darstellen, lohnen sich langfristig jedoch durch Sicherheit, Kontrolle und Unabhängigkeit.
CANCOM: Welche Branchen werden 2026 besonders stark von KI geprägt sein?
Eva: Besonders deutlich wird die Transformation im Gesundheitswesen und im Manufacturing.
Im Healthcare-Bereich entstehen derzeit unglaublich viele neue Anwendungsfälle. KI unterstützt Ärztinnen und Ärzte etwa bei der Diagnostik, indem sie medizinische Bilder analysiert oder Auffälligkeiten erkennt, die für den Menschen kaum sichtbar sind. Auch in der personalisierten Medizin spielt sie eine zentrale Rolle – zum Beispiel bei der Entwicklung individueller Therapien. Zudem hilft KI, administrative Prozesse zu automatisieren und das medizinische Personal zu entlasten.
Ebenso spannend ist die Entwicklung im Manufacturing-Bereich, vor allem in der Industrie. Maschinen erzeugen riesige Datenmengen, die nur mit KI sinnvoll ausgewertet werden können. So ermöglicht KI vorausschauende Wartung, Qualitätskontrolle oder Effizienzsteigerungen in der Produktion. IoT-Geräte bilden dabei die Basis – sie verbinden die physische und die digitale Welt.
CANCOM: Wie schätzt du die Investitionsbereitschaft deutscher Unternehmen aktuell ein?
Eva: Das hängt stark von der jeweiligen Strategie und Reife im Umgang mit KI ab. Unternehmen, die bereits Data Scientists oder AI Engineers beschäftigen, zeigen eine hohe Investitionsbereitschaft. Sie wissen, dass technologische Führung nur durch frühe Investitionen möglich ist. Wenn wir mit solchen Firmen sprechen und ihnen zeigen, dass CANCOM als NVIDIA Elite Partner über die neuesten NVIDIA Blackwell GPUs verfügt, die innerhalb weniger Tage einsatzbereit sind, spielt der Preis oft eine untergeordnete Rolle – hier geht es um Geschwindigkeit und Wettbewerbsfähigkeit. Anders ist es bei Unternehmen, die noch keine dedizierte KI-Abteilung haben. Dort herrscht oft Zurückhaltung, insbesondere in wirtschaftlich angespannten Zeiten. Viele wollen erst beobachten, bevor sie investieren.
Ich empfehle jedoch jedem Unternehmen, KI schon heute in die Budget- und Ressourcenplanung aufzunehmen. Künstliche Intelligenz ist keine Modeerscheinung, sondern eine Schlüsseltechnologie. Wenn wir in Deutschland zu lange zögern, riskieren wir, den Anschluss zu verlieren.
CANCOM: Wenn du dir eine Schlagzeile zu KI für 2026 wünschen könntest, wie würde sie lauten?
Eva: „KI schafft es in den Mittelstand – aus Innovation wird Adaption.“ Diese Schlagzeile bringt für mich zwei Dinge auf den Punkt: Zum einen wünsche ich mir, dass KI im Mittelstand wirklich ankommt – also in Unternehmen, die bisher oft noch zögern. Zum anderen steht sie für den Wandel von der Theorie zur Praxis: weg von der reinen Innovation hin zur echten Anwendung. Das wäre für mich das beste Signal für 2026.
CANCOM: Vielen Dank für das Interview und deine Einschätzung.